top of page
Suche

Der Soldat

  • Helena Aurora
  • 16. März
  • 5 Min. Lesezeit

Von bizarren Vorlieben, stoischen Seesternen und dem alltäglichen Wahnsinn: Ich bin Helena Aurora, Independent Escort und Domina aus Hamburg. Täglich erlebe ich die kuriosesten Geschichten und treffe auf die spannendsten Menschen aus allen Gesellschaftsschichten. Du möchtest einen authentischen Blick hinter die Fassade des ältesten Gewerbes der Welt werfen?


Triggerwarnung: Wenn du sensibel auf die Themen Depression, Suizidalität und Gewalt reagierst, lies ab hier bitte nicht weiter.


Gäste einer Domina, Erlebnisbericht, der Seestern, Blogbeitrag, Helena Aurora, High Class Escort und Domina aus Hamburg
Auf Traum(a)reise.

Irgendetwas ist anders


Zart, kaum merklich streichelt Holger* mir über mein Bein. Wir liegen nebeneinander, ich schaue ihn ruhig an, den Augenkontakt hält er nicht. „Du darfst mich ruhig etwas fester anfassen, das ist ok.“, sage ich mit einem Lächeln. „Ich möchte dir nicht weh tun.“, sagt Holger und wendet scheu seinen Blick ab. „Du tust mir doch nicht weh! Schau, das ist z.B. ok für mich.“, erwidere ich, greife liebevoll seine Hand und führe sie mit sanftem Druck mein Bein entlang. „Das fühlt sich schön für mich an.“, beruhige ich ihn. Seine Anspannung löst sich, seine Mundwinkle heben sich leicht. Eine gewisse Aufregung ist immer Teil der Escortdates und Sessions. Ich spüre, dass heute dennoch irgendetwas anders ist, kann es aber nicht zuordnen.


In meinem Beruf als Escort und Domina treffe ich auf die unterschiedlichsten Menschen. Sie alle verbindet jedoch der Wunsch, für einen Moment den Alltag zu vergessen. Sei es aus dem Grund, ihre Lust und versteckten Vorlieben auszuleben oder, weil ihnen Zärtlichkeit und offene Gespräche im Privatleben fehlen.


Achtsame Nähe


Entsprechend seiner Wünsche lernen wir uns in entspanntem Rahmen kennen. Ich achte darauf, ihn während unserer intimen Begegnung nicht zu überfordern, streichele ihn, umarme ihn und lasse ihn das Tempo bestimmen. Er fragt bei jeder Berührung, ob diese für mich ok ist, was ich bejahe. Hätten wir vorher nicht über seine Vorlieben gesprochen, hätte ich gedacht, es ist sein Erstes Mal.


Während wir miteinander schlafen, ist er liebevoll, bewegt sich bedacht und zärtlich. Ich spüre, wie sehr er diese zwischenmenschliche Nähe braucht und genießt. Es fühlt sich ganz vertraut zwischen uns an, als würden wir uns bereits kennen. Die Temperatur im Raum steigt weiter an, unsere Wangen glühen. Als ich mich auf ihn setzte, glänzen Holgers Augen. Langsam steigere ich das Tempo meiner Bewegungen. Kurz bevor er kommt, greift er meine Hände und hält sie ganz fest. Sein Orgasmus ist intensiv, er stöhnt und drückt sein Becken noch stärker gegen meins. Dann entspannt er sich vollkommen, ich lege mich neben ihn, streichele über seine Brust und genieße mit ihm den Nachklang unserer Lust.


Nylonstrümpfe, Strumpfhalter, Minikleid, High Heels, Blogbeitrag
Nähe und Zärtlichkeit.

Auslandseinsatz


Die Augen zusammengekniffen dreht sich Holger plötzlich zu mir und schmiegt sich fest an mich. Ich halte ihn fest, drücke ihn noch ein bisschen mehr an mich heran. Er scheint diese Nähe wirklich sehr zu brauchen. Auf einmal spüre ich, wie mir etwas Warmes die Schulter herunterläuft. Ich schaue irritiert nach unten und höre ein leises Schluchzen. Er weint. „Was ist denn los, ist alles ok bei dir?“, frage ich sehr besorgt.


„Es ist wunderschön mit dir. Diese Nähe habe ich so lange nicht gespürt, dass ich mich nicht mal mehr daran erinnern kann! Ich hätte nicht gedacht, dass ich das noch einmal erleben würde.“, flüstert er leise. „Ich kann mich gerade seit langer Zeit wieder fallen lassen.“ Ich bin verunsichert: „Oh je, das tut mir wirklich leid. Ich freue mich natürlich sehr, dass du dich so wohl mit mir fühlst, und kann das nur zurückgeben! Aber ist irgendetwas passiert, dass du so lange keine Partnerin an deiner Seite hattest?“


Er atmet tief ein und antwortet fast mechanisch: „Ich war lange in Afghanistan stationiert. Ich habe Dinge gesehen und gemacht, für die du mich jetzt wahrscheinlich verabscheuen wirst. Ich habe Menschen getötet. Soldaten, unschuldige Zivilisten, darunter Kinder und sogar Hunde.  Es verfolgt mich bis heute.“ Mir stockt der Atem, ich bin überfordert mit diesen Informationen. Er, Holger, der Mann, der mich berührt wie ein rohes Ei, der sich ständig nach meinem Befinden erkundigt, der Mann, mit dem ich gerade den einfühlsamsten Sex seit Ewigkeiten hatte, soll ein Mörder sein?


"Tiere sind einfach die besseren Menschen."


„Oh Gott, das ist ja furchtbar!“, stoße ich hervor. Ich habe des Öfteren gruselige Details von Auslandseinsätzen gehört, mich aber nie weiter damit auseinandergesetzt, weil ich mit solchen Informationen nur schlecht umgehen kann. Ich möchte nicht in diesen Wunden bohren und versuche, das Thema zu wechseln: „Wie geht es dir jetzt? Hast du mittlerweile andere Aufgaben und kannst dauerhaft in Deutschland arbeiten?“, frage ich vorsichtig. „Nein, ich bin schon lange nicht mehr beim Bund. Mittlerweile wohne ich etwas außerhalb und arbeite mit Tieren. Ich pflege sie, kümmere mich um kleinere Verletzungen und sorge für alles, wofür die Besitzer keine Zeit haben. Ich war nie glücklicher! Tiere sind einfach die besseren Menschen.“, antwortet er leise.


Nach unserem Treffen bekomme ich eine lange Nachricht. Holger bedankt sich und bedauert, mich nicht schon eher getroffen zu haben. Er habe die gemeinsame Zeit unbeschreiblich genossen, es gehe ihm so gut, wie schon lange nicht mehr. Seine Nachricht berührt mich sehr, zumal auch ich die Zeit als sehr bereichernd empfunden habe. Wir beschließen, uns zeitnah wiederzusehen. Ich freue mich.


Hoffnung.
Hoffnung.

Ein Monat vergeht, bis ich die nächste Nachricht von Holger erhalte:


„Liebe Helena, vielen Dank noch einmal für die wunderschöne Zeit mit dir! Ich denke gerne an unser Treffen zurück, selbst jetzt lächle ich! Es tut mir sehr leid, dass ich mich nicht schon eher gemeldet habe.


Wir hatten ja besprochen, uns bald wiederzusehen. Aus diesem Grund schreibe ich dir heute. Leider geht es mir gesundheitlich nicht besonders gut. Aber keine Sorge, ich kenne das schon. In ein paar Wochen sollte es wieder ok sein. Ich wollte nur, dass du Bescheid weißt, dass es nicht an dir liegt, dass ich mich erstmal nicht melde.


Ich freue mich auf dich, wenn es mir wieder besser geht. Hab bis dahin eine gute Zeit und pass auf dich auf!


Liebe Grüße,

dein Holger“


Während unseres Treffens war irgendetwas anders als bei anderen Gästen. Seine Bewegungen, sein Verhalten, seine Augen. Er sprach zu mir, ohne ein einziges Wort zu sagen. Was ich unterbewusst wahrnahm, waren sein Schmerz, seine Trauer und Verzweiflung. Sein Bericht war nur ein Bruchteil von dem, was er erlebt haben musste. Ich realisierte, dass er Zuflucht bei den Tieren suchte, die er pflegte. Dass er mich traf, weil er einsam war und nicht wusste, an wen er sich sonst mit seinen Bedürfnissen wenden sollte.


Ich habe nie wieder etwas von ihm gehört.

 

*Name aus Diskretionsgründen geändert.


 

Befindest du dich in einer Krisensituation und/oder hast mit mentaler Erkrankung zu tun? Wende dich bitte an folgende Hilfestellen:


Überregionale Krisentelefone


Mailberatung sowie Chatberatung sind bei allen Anlaufstellen über die Website möglich.

 

Deutschland

 

Tel.: 0800 / 11 10 111

Tel.: 0800 / 11 10 222

Rund um die Uhr

 

Kinder- und Jugendtelefon

Tel. 11 61 11

Mo - Sa 14:00 - 20:00 Uhr

 

Elterntelefon

Tel. 0800 11 10 55 0

Mo - Fr 9:00 - 17:00 Uhr, Di+Do bis 19:00 Uhr

 

 

Österreich

Tel.: 142

Rund um die Uhr

 

Schweiz

Tel.: 143

Rund um die Uhr

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

1 Comment

Rated 0 out of 5 stars.
No ratings yet

Add a rating
Hans Georg Strauch
Hans Georg Strauch
Mar 19
Rated 5 out of 5 stars.

Danke für's Teilen, was für eine bewegende Begegnung! Und ein wunderbares Beispiel dafür, daß Sexarbeit wirklich Carearbeit sein kann - meines Erachtens sogar viel öfter, als eins denkt, und auch bei Menschen, die nicht so unendlich verletzt sind wie Holger.

Ich bewundere Deine Fähigkeit,auf Menschen einzugehen und sie zu unterstützen!

Alles Gute Dir!

Like
  • Instagram
  • X
bottom of page